Stellungnahme der AG Wachstum / Hypophyse der DGPAED zu Langwirksamen Wachstumshormonen
Empfehlungen zur Anwendung von langwirksamem Wachstumshormon in Deutschland von der AG Wachstum und Hypophyse der DGPAED
Konsentiert in Ulm am 04.11.2023
Einführung
Seit einigen Monaten ist langwirksames Wachstumshormon („long-acting growth hormone – LAGH“) in Deutschland für Kinder > 3 Lebensjahren mit GH-Mangel zugelassen und kann nun verschrieben werden. Im Unterschied zu herkömmlichem Wachstumshormon (GH), das eine tägliche Injektion am Abend verlangt, werden die neuen Präparate nur einmal pro Woche injiziert. Das macht die Therapie mit GH einfacher für die Patient*innen. Es ist möglich, dass unter diesen neuen Medikamenten die Therapietreue ansteigt; dies ist bisher aber nicht belegt.
Die Hersteller haben unterschiedliche Wege beschritten, um das GH langwirksam zu machen, so dass es sich bei den neuen GH-Präparaten um sehr unterschiedliche Wirkstoffe handelt, die sich in ihrer Zusammensetzung und ihrer Pharmakologie unterscheiden. Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu den bisher von uns verwendeten herkömmliche GH-Produkten.
Die Arzneimittelstudien, die zur Zulassung von langwirksamem GH geführt haben, attestieren diesen neuen Wirkstoffen eine gegenüber dem herkömmlichen GH vergleichbare oder bessere Wirksamkeit und eine vergleichbare Sicherheit. Aber: Über die Langzeitwirksamkeit und Langzeitsicherheit dieser neuen Medikamente unter real world-Bedingungen ist noch nichts bekannt. Die Behandlungserfahrung mit herkömmlichen GH zählt mehr als 35 Jahre. In den internationalen Phase 3 Arzneimittelstudien wurden die verschiedenen langwirksamen GH-Präparate gegen Kontrollgruppen mit einer mittleren Tagesdosis von 34 µg rhGH/kg KG verglichen. In Deutschland werden Kinder mit GH-Mangel üblicherweise mit niedrigeren rhGH-Tagesdosen therapiert (25 bis 35 µg rhGH/kg KG).
Es kommt unter den langwirksamen GH-Präparaten im Unterschied zum herkömmlichen GH zu keiner stabilen Serumkonzentration von IGF-1, sondern zu einem undulierenden Verlauf mit hohen IGF-1-Konzentrationen nach Injektion und niedrigen vor erneuter Injektion des langwirksamen GH. Daten zu korrespondierenden IGFBP-3-Konzentrationen und damit Hinweise auf freie IGF-1-Spiegel liegen nicht oder nur sehr eingeschränkt vor.
Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die IGF-1 Serumkonzentration, die uns als Sicherheits- und Wirksamkeitsparameter dienen soll, bei der Therapie mit langwirksamen GH nur dann sachkundig beurteilt werden kann, wenn der Abstand zur letzten Injektion bekannt ist. Die Hersteller des langwirksamen GH empfehlen, am Tag 4 bzw. 4,5 der Injektionszykluswoche IGF-1 zu bestimmen, wenn die IGF-1-Konzentration in etwa den Mittelwert der gesamten Wochenspanne erreicht hat. Alternativ wird eine Berechnungshilfe zur Verfügung gestellt, mit der man unabhängig vom Tag der Blutentnahme den IGF-1 Mittelwert abschätzen soll.
Empfehlungen
1. Wenn Sie langwirksames GH verordnen, sollten Sie die Eltern über die Novität des langwirksamen GH-Präparates und die fehlende Langzeiterfahrung mit diesem neuen Medikament aufklären.
2. Sie sollten den Eltern erklären, wie die Wirkungsverlängerung des GH erzielt wird und dass Wirksamkeit und Sicherheit der verschiedenen Präparate nicht direkt vergleichbar sind.
3. Dieses Beratungs- bzw. Aufklärungsgespräch sollten Sie dokumentieren.
4. Den Eltern, die sich für ein langwirksames GH entscheiden, sollten Sie die Teilnahme an einer Anwendungsbeobachtungsstudie wie z. B. Insights-GHT nahelegen, da nur so Langzeitdaten gewonnen werden können, die wir dringend benötigen.
5. Die Kontrollen mit Blutentnahme sollten bevorzugt am Tag 4 bzw. 4,5 nach GH-Injektion durchgeführt werden, da dann die gemessene IGF-1-Konzentration dem Mittelwert entspricht. Die verschiedenen Hersteller-spezifischen Algorithmen zur Schätzung der mittleren IGF-1 Serumkonzentration sollten nur als zweitbeste Variante genutzt werden.
6. Der gemessene durchschnittliche IGF-1-Spiegel unter LAGH-Therapie sollte im Alters- und Geschlechts-abhängigen Referenzbereich, bevorzugt in der Nähe von 0 SDS, liegen, damit regelmäßige Spitzenkonzentrationen über + 2 SDS oder Talkonzentrationen unter – 2 SDS vermieden werden.